Arbeitnehmerbeurteilung mit Hintergedanken

Durch die Blume ...

Von Geheimcodes und deren Entschlüsselung

Wozu überhaupt die Geheimniskrämerei?

Selbst wenn sie kein negatives Wort enthalten, können Arbeitszeugnisse eine sehr negative Wertung enthalten. Denn wer genau liest, erkennt sehr schnell die Unterschiede in den Formulierungen und das dahintersteckende Wertesystem, das jeglicher wohlwollender Formulierung zum Trotz vernichtend ausfallen kann. Deshalb ist es sinnvoll, sich seine Zeugnisse genau anzusehen und zu versuchen, sie einmal in "Gebrauchssprache" zu übersetzen.

Um zu verstehen, wie es zu den heute üblichen "Verschlüsselungen" in Arbeitszeugnissen kommt, sollte man zunächst wissen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch allen abhängig Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis einräumt. Weil nun aber Arbeitsverhältnisse oft aufgrund der Unzufriedenheit mindestens einer der Seiten beendigt werden, liegt die Idee nahe, dass man (im Klartext: der Arbeitgeber) seinem Unmut im Arbeitszeugnis des scheidenden Arbeitnehmers Ausdruck verleiht. Doch das darf er nicht, denn unsere Rechtssprechung sieht den Schutz des Arbeitnehmers vor: Laut BGH-Urteil ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Zeugnis sowohl der Wahrheit entsprechend als auch mit verständigem Wohlwollen zu verfassen. Auf "Unjuristisch" heißt das, dass der Arbeitgeber einem ausscheidenden Mitarbeiter durch das Zeugnis nicht schaden darf (allerdings darf er ihn der Wahrheitsverpflichtung wegen auch nicht "über den grünen Klee loben").

Somit ergibt sich die Notwendigkeit, eine unbestreitbar und durchgängig schlechte Leistung als mangelhaft zu werten – dies aber in wohlwollende und höfliche Formulierungen zu kleiden. Deshalb ist die Zeugnissprache so schwer durchschaubar (von Ausnahmen offen negativer Formulierungen beispielsweise bei Straffälligkeit einmal abgesehen). Wie ein Zeugnis im Detail wertet, können die Zeugnisempfänger in der Regel nicht oder nur schwer erkennen, da beinahe jede Wertung positiv klingt.

Nicht zuletzt weil man weiß, dass man nicht unbedingt im Frieden geht, die Formulierungen im Zeugnis aber so positiv klingen, fürchtet man negative Aussagen zwischen den Zeilen, sogenannte "Geheimcodes“. Diese sind jedoch nach GewO (Gewerbeordnung) unzulässig, denn dort werden klare und verständliche Formulierungen verlangt. Darüber hinaus werden Merkmale bzw. Formulierungen untersagt, die darauf zielen, etwas anderes als aus der äußeren Form oder dem Wortlaut Ersichtliches über den Arbeitnehmer auszusagen. Ein "Geheimcode" kann somit bereits in der unzureichenden Form des Zeugnisses liegen und ist nur zu identifizieren, wenn man die entsprechende Übersetzung kennt. Denn wer ahnt schon, dass man durch bezeugtes "Engagement für Arbeitnehmerinteressen" als Gewerkschafter "geoutet" wird?! Obwohl "Geheimcodes" also untersagt sind, ist die Zeugnissprache eine schwer zu deutende Textsorte.

Die Schwierigkeit bei der "Übersetzung" von Arbeitszeugnissen liegt also letztlich darin, dass positive Formulierungen nur bedingt positiv gemeint sein können und dass normalerweise positiv zu verstehende Äußerungen bereits negativ werten können. Deshalb finden Sie im Folgenden einige "notentypische" Formulierungen:

Zeugnisnoten

Als Beispiel für Formulierungen, die man in Schulnoten übersetzen kann, seien hier typische Formulierungen der sogenannten Leistungszusammenfassung angeführt:

  • Sie führte alle Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit aus. (Note 1) *
  • Sie führte alle Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit aus. (Note 2)
  • Sie führte alle Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit aus. (Note 3)
  • Sie führte alle Aufgaben zu unserer Zufriedenheit aus. (Note 4)

Diese Skala verdeutlicht die Abstufung positiver Wertungen – aber Achtung, nicht jeder Satz muss deshalb gleich ein "stets" enthalten, was zählt, ist das Gesamtbild. Allerdings sollten Sie darauf bestehen, dass diese Struktur eben bei der Leistungszusammenfassung eingehalten wird.

Schlechtere Noten als eine 4 werden gesondert behandelt, hier bedient man sich gewisser Verschlüsselungstechniken (hier geht es nicht um Geheimcodes!). Will man die Note 5 sprachlich wohlwollend darstellen, verwenden Arbeitgeber verschiedene Verschlüsselungstechniken. Sie sind es, die letztlich alle Zeugnisempfänger fürchten, denn man kennt diese ja üblicherweise nicht. Allerdings betreffen sie in der Regel nur weit unterdurchschnittliche Leistungen.

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* Sprachlich ist "vollsten" natürlich Unsinn, da nichts "voller" als "voll" sein kann, ähnlich wie nichts "töter" als "tot".
Einem Bewerber, der klagte, weil er eine Bewerbung nach dem zweiten Satz oben erhielt ("voller") wurde beschieden, dass der Arbeitgeber nicht zu grammatisch falschem Deutsch gezwungen werden könne.

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